Von der “Harmoniemusik” bis zur “Stadtkapelle”

Die 850 Jahre alte Stadt Wasserburg am Inn ist seit Jahrhunderten eine Heimstatt der Tonkunst. Dafür zeugen schon die Komponisten sakraler Musik, die im 17. – 18. und 19. Jahrhundert weit über die Grenzen ihrer engeren Heimat hinaus bekannt und geschätzt waren. Franz Kaltner, Abraham Megerle, Sebastian Dietz, Joseph Schlett, Kaspar Aiblinger und Benedikt Zaininger schufen viele Messen und geistliche Gesänge. Als bedeutender, zeitgenössischer Tonschöpfer ist Hans Melchior Brugk, ein Sohn Wasserburgs, in der Musikwelt längst ein Begriff.

Wann erstmals in der Innstadt eine “Stadtkapelle” gegründet wurde, lässt sich nicht mit Sicherheit ermitteln. Denn als am 1. Mai 1874 mittags aus unbekannter Ursache im Hochraum des Rathauses Feuer ausbrach, welches die Dachungen mit den Obergeschossen verzehrte und elf Privatgebäude niederlegte, sind wahrscheinlich wertvolle Unterlagen über die damals bestehenden Musikvereinigungen verloren gegangen. Einer Zeitungsanzeige vom 27. Juni 1875 zufolge, spielte im Methgarten des Lebzelters Surauer eine Wasserburger “Harmonie – Musik” zum Tanz auf. Zu einem “Ostermontags-Concert, ausgeführt von der “Wasserburger Musik – Kapelle”, lud mittels Zeitungsannonce vom 28. März 1880 ein einheimischer Gastwirt freundlichst ein. Genau zwei Jahre später ist einem Zeitungsbericht zu entnehmen, dass das “herkömmliche Blasen vom Turm” wieder stattfand. In den folgenden Jahren fanden sich immer wieder Notizen von der “Stadtmusik”, der “städtischen Blechmusik” und schließlich der “Wasserburger Stadtkapelle”. Um die Jahrhundertwende begann der Musikalienhändler und Musiklehrer Josef Reiter mit der “förderlichen Ausbildung” der Blaskapelle und kann daher wohl als erster Stadtkapellmeister der Annalen geführt werden. Nach dem Ersten Weltkrieg trommelte dieser Mann wieder ein Häuflein begeisterter Blasmusiker zusammen, mit dem er schon im Mai 1920 im Rahmen einer Kriegsgefangenen Heimkehrer – Feier ein “Öffentliches Konzert” gab. Auch das in Vergessenheit geratene “Turmblasen” führte er 1930 wieder ein. In der Zeit des Nationalsozialismus musste sich die Stadtkapelle zum “SA – Musikzug” umfunktionieren lassen, doch der Zweite Weltkrieg beendete jäh dieses nur wenige Jahre andauernde Intermezzo.

Nach dem zweiten Weltkrieg versuchte zunächst der Wasserburger Georg Furtner, im Auftrag für die 810-Jahrfeier der Innstadt eine neue Blaskapelle ins Leben zu rufen. Auch der ehemalige Spielmannszug formierte sich für das Fest wieder neu. Von da an wurde der Wunsch der Wasserburger Bürger und Musiker immer größer, sich zusammenzuschließen und für das kulturelle Leben der Stadt, eine eigene Musikkapelle zu gründen. Erst als sich 1951 der Stabsmusikmeister a. D. Otto Hofmann damit befasste und – laut Protokollbuch – “mit einem zusammengewürfelten Haufen von Musikern” einschließlich des “Feuerwehr – Spielmannszuges” nach einer einzigen Orchesterprobe am 9.September 1951 zum Feuerwehrfest nach Kufstein fährt nahm dieser Gedanke greifbare Gestalt an. Unter dem Protektorat des damaligen Bürgermeisters Gabriel Neumeier kam es am 13. Januar 1953 zu offiziellen Neugründung der “Stadtkapelle Wasserburg am Inn”. Vorausgegangen waren allerdings monatelange Proben und sogar ein öffentlicher Auftritt im historischen Rathaussaal bei einer Kundgebung des Kreisjugendrings, sowie ein Standkonzert auf dem Marienplatz. Mit einem “Großen Festkonzert” stellte sich die Stadtkapelle am 9. Mai 1953 erstmals einem größeren Zuhörerkreis vor. Ein fachkundiger Rezensent zeigte sich erstaunt über das in so kurzer Zeit ereichte Können dieses Blasorchester. Von nun an bildete die in neuer Tracht auftretende Stadtkapelle einen nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil des Wasserburger Gesellschafts- und Kulturlebens. In weiser Voraussicht widmeten sich die Verantwortlichen von Anfang an der Nachwuchspflege (Rhythmische Grunderziehung im Spielmannszug und theoretischer Unterricht), um den Fortbestand der Kapelle zu sichern. In allen Jahren ihres Bestehens ist die Stadtkapelle diesem Leitsatz, “wertvolles Kulturgut zu vermitteln und fortzupflanzen”, treu geblieben.

Im Jahr 1961 gab es einen Wechsel in der Stabführung des mittlerweile gewachsenen Blasorchesters. Der bisherige Stadtkapellmeister Otto Hofmann übernahm die Leitung der weltbekannten Dinkelsbühler Knabenkapelle. Neuer Mann in Wasserburg wurde Hans Hübner, der auch mit einem reichen Erfahrungswissen als ehemaliger Militärmusikkapellmeister ausgestattet war. Unter ihm trat auch ein Wandel in der Programmauswahl der Musikstücke ein. Besonders der feinen klassischen Blasmusik widmete sich der neue Stadtkapellmeister bei der Arbeit mit seinen Musikern. In vielen Reisen zu Musikfesten im süddeutschen Raum aber auch ins benachbarte Ausland, besonders gerne nach Südtirol, heimste Hübner mit seinen Mannen große Erfolge ein, bevor er 1971 die Innstadt verließ, um mit seiner Familie den Ruhestand in seiner Heimatgemeine Farchant verbringen zu können.

Heinz Radzischewski, bisher Stimmführer im Trompeten- und Flügelhornregister, übernahm die Leitung der Innstadtmusikanten. Er, der sozusagen der musikalischen Nachkriegsgeneration angehörte, begann sofort mit moderneren Blasmusikklängen neuen Schwung in das Orchester zu bringen. Das Publikum belohnte diesen Mut zur Veränderung mit wahren Besucherströmen bei den Konzerten im Wasserburger historischen Rathaussaal. Waren die Konzerte bisher eher selten ausverkauft, wurde das Schild mit dem Hinweis auf einen bereits gefüllten Saal nun zur Selbstverständlichkeit. Dazu trug auch die Jugendkapelle bei, die unter Radzischewski schnell zu einem großen musikalischen Klangkörper wurde. Motiviert von einem Dirigenten, der für viele musikalisches Vorbild wurde. Es war deshalb auch nur eine Frage der Zeit, dass ihm 1978 aus Anlass des 25-jährigen Wiedergründungsfestes der Stadtkapelle und dem 1. Konzert in der großen BADRIA-Halle, die mit 1.200 Besuchern restlos gefüllt war, der Titel des “Stadtkapellmeister” offiziell vom 1. Bürgermeister der Innstadt, Herrn Dr. Martin Geiger überreicht wurde. Einher gingen diese Feierlichkeiten mit dem Umzug in das erstmals vereinseigene Probenheim, das ebenfalls im BADRIA-Gebäude von den Vereinsmitgliedern eigenhändig und unterstützt von Spendern ausgebaut wurde.

Ein Höhepunkt der bisherigen Vereinsgeschichte war das 31. Bezirksmusikfest in Wasserburg am 13. – 15. Mai 1988 zum 35-jährigen Bestehen des Vereins. Es kamen nicht nur die Musikkapellen aus dem Bezirk Inn/Chiemgau (Landkreis Rosenheim), sondern es konnten insgesamt über 35 Kapellen, davon mehrere aus Österreich und Italien und unsere beiden Partner-Musikvereine aus Wasserburg an der Günz und Wasserburg am Bodensee begrüßt werden. Gute Organisation, schönes Wetter und ein außergewöhnliches Gesamtprogramm sorgten für hervorragende Stimmung bei Musiker/-innen und Publikum. 

Bis 1991 leitete Heinz Radzischewski die Stadtkapelle Wasserburg am Inn und eilte wie seine Vorgänger landauf und landab von Erfolg zu Erfolg. Zugleich gelang es auch den Verantwortlichen des Vereins mehr und mehr, mit einer eigenen Bläserschule, bei der aktive Musiker des Vereins Musikunterricht gaben, eine große Anzahl an jungen talentierten und hochqualifizierten Musikerinnen und Musiker auszubilden. So war es gerade wieder auch die Jugendkapelle, die mit ihren Auftritten eine musikalische Visitenkarte der Stadt abgab. Auf vielen Musikfeldern war die Wasserburger Stadtkapelle mittlerweile zu Haus. Von der ursprünglichen Blechmusikbesetzung bis hin zur orchestralen Blasmusik spannte sich nun das Betätigungsfeld.

Neuer Mann am Dirigentenpult in Wasserburg ist seit September 1991 Michael Kummer. Mit neuem Elan und fundiertem Fachwissen verstand er es sofort, das Orchester und die Jugendkapelle zu begeistern. Als kompetenter Musiker bot er von Anfang an Qualität  und anspruchsvolle und moderne Blasmusik, für die auf hohem Niveau ausgebildeten Musiker/-innen. In einem musikalischen Senkrechtstart wurde Wasserburg zu einem blasmusikalischen Leistungszentrum. Auch organisatorisch war eine Neuerung notwendig. Da der neue Dirigent für die Stadtkapelle hauptamtlich mit einer Halbtagsstelle tätig wurde, mussten die dafür notwendigen finanziellen Voraussetzungen geschaffen werden. Mit einem Förder- und Sponsorenverein gelang dies, auch wenn die Finanzen dabei einer ständigen Überprüfung und Pflege bedürfen.

Das größte Engagement gilt auch unter Michael Kummer der Jugendarbeit. Aktionen wie Auslandreisen nach Israel und in die Tschechische Republik, viele Auftritte und Konzerte und natürlich die Teilnahme an musikalischen Wettbewerben mit der Jugendblaskapelle, bringen Anerkennung für die jungen Musiker/-innen, den Verein und natürlich auch für den musikalischen Leiter. 

Das große Orchester zeigt mit seinem musikalischen Leiter Michael Kummer hohes Verständnis und Können für neue Blasmusikkompositionen. Moderne Rhythmen, differenzierte Harmonien und ausgefeilte Solis, eingepackt in ein ganzheitliches Konzertprogramm, sind ein Markenzeichen der Stadtkapelle Wasserburg am Inn. Gut gerüstet schlägt der traditionelle Wasserburger Musikverein ein weiteres Kapitel im neuen Jahrtausend auf.

Andreas Burlefinger